K. König: Finsterhennen. Uf der Höchi,

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Titel
Finsterhennen, Uf der Höchi. Eine hochmittelalterliche Wüstung im Berner Seeland


Autor(en)
König, Katharina
Herausgeber
Archäologischer Dienst des Kantons Bern
Erschienen
Bern 2011: Rub Media
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Hans-Rudolf Egli

Mit der vorliegenden Publikation werden die umfangreichen archäologischen Untersuchungen zu einem um 1300 aufgelassenen Weiler mit vier Gehöften rund 500 Meter nördlich des Dorfes Finsterhennen im Berner Seeland dargestellt. Die Bezeichnung «Uf der Höchi» stammt vom aktuellen Flurnamen dieses Gebietes. Die Grabungen fanden auf einer Fläche von 4500 m2 zwischen 2002 und 2005 in einem Kiesabbaugebiet statt.

Nach der Beschreibung der archäologischen Grabungen und der prähistorischen Befunde und Funde, auf die hier nicht eingegangen wird, beschreibt und interpretiert die Hauptautorin des Bandes, Katharina König, im ersten Hauptkapitel die hochmittelalterliche Siedlung. Die vier Gehöfte bestanden aus je einem zentralen Pfostenbau, mehreren Wirtschaftsgebäuden (Scheunen, Speicher) und Gruben. Die Ökonomiegebäude waren kleine Pfostenbauten und Grubenhäuser. In der Hälfte der Grubenhäuser wurden Trittwebstühle nachgewiesen oder vermutet. Mit je drei Webstühlen pro Gehöft wird angenommen, dass es sich bei diesem Weiler um eine spezialisierte Textilhandwerkersiedlung gehandelt hat. Diese müsste zwangsläufig mit einer landwirtschaftlichen Hauptsiedlung verbunden gewesen sein, am ehesten mit dem Dorf Finsterhennen. Die Keramik-, Eisen- und Broncefunde sowie die Stein- und Knochengeräte sind im Kapitel 5 beschrieben. Aus den Vergleichen mit andern schweizerischen Funden wird die Siedlungsdauer von etwa 1050 bis um 1200 angenommen, was die bisherige Hypothese zur Flurgenese im Seeland bestätigt. Die archäobotanischen Befunde sind im Beitrag von Marlu Kühn und Angela Schlumbaum (Kapitel 6) detailliert beschrieben. Vor allem das Fehlen jeglichen Spelzweizens und der geringe Anteil von Dreschresten weisen ebenfalls auf eine spezialisierte Tätigkeit der Bewohner und Bewohnerinnen dieses Weilers hin, wobei die botanische Datenbasis insgesamt aber als sehr schwach bezeichnet wird. Im folgenden Kapitel werden von André Rehazek und Marc Nussbaumer die rund elf Kilogramm Tierknochenmaterial aus dem Siedlungsareal ausgewertet. Am häufigsten sind die Rinderknochen (48%) vor den Schweineanteilen (29%) und den Schafen/Ziegen (14%). Die geringe Anzahl Wildtierknochen weist darauf hin, dass die Jagd keine Rolle spielte. Vincent Serneels zeigt mit seinem Beitrag zu den Schlackenfuden, dass im Weiler oder in der Hauptsiedlung Eisen nur verarbeitet, jedoch nicht vor Ort gewonnen wurde, was aufgrund der geologischen Verhältnisse nicht erstaunt!

Der umfangreiche Befundkatalog (S. 153 –187) ergänzt die Beiträge und macht die Publikation auch zu einem wertvollen Nachschlagewerk für vergleichende Untersuchungen. Einzelne umfangreiche Tabellen hätten zur Entlastung und zur besseren Lesbarkeit ebenfalls in den Anhang verschoben werden können, zum Beispiel die Pflanzenliste (Abb. 75) auf den Seiten 82 bis 89.

Zur besonders interessierenden Frage der Ursache dieser Wüstlegung gibt die Untersuchung keine direkte Antwort, insbesondere weil keine schriftlichen Quellen vorhanden sind. Die Hauptautorin vermutet aber, dass es sich im Rahmen des hochmittelalterlichen Verdorfungsprozesses eher um eine Siedlungsverlagerung handelte als um den Abgang der Siedlung, zum Beispiel als Folge eines starken BevoÅNlkerungsrückganges. Zusammen mit der relativ kurzen Siedlungsdauer gibt die Wüstung «Uf der Höchi » auch einen Hinweis auf die Standortdynamik mittelalterlicher Siedlungen, wie sie beispielsweise auch in der Standortverlagerung des Dorfes Sunkort nachgewiesen ist (im vorliegenden Band leider nicht erwähnt). Dieses Dorf ging im 14. Jahrhundert im Stadtbezirk Erlach auf.

Für die mittelalterliche Siedlungsgeschichte des Seelandes und exemplarisch für das schweizerische Mittelland ist die ausgezeichnet dokumentierte Publikation sehr wertvoll. Die Untersuchung ist auch ein gutes Beispiel, wie heute durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Fachdisziplinen besser abgestützte und neue Erkenntnisse gewonnen werden können. Einzelne Aussagen dürften allerdings der Gefahr der Überinterpretation unterlegen sein, wenn beispielsweise aus einem einzigen Pferdeschädel geschlossen wird, dass das Pferd wohl in erster Linie als Arbeits- und Zugtier eingesetzt worden sei. Auch die Schlussfolgerung, dass die fünf Kilogramm Eisenreste in den Schlacken auf 50 Kilogramm verarbeitetes Eisen und diese auf etwa 50 Einwohner dieser Siedlung hinweisen, ist zumindest stark hypothetisch. Leider wurden die historischen Arbeiten, insbesondere die Untersuchung von Konrad Wanner zum Kanton Zürich offenbar nicht zur Kenntnis genommen. Insgesamt ist die Publikation zur Wüstung «Uf der Höchi» in der Flur von Finsterhennen eine ausgezeichnete Dokumentation und sehr lesenswert. Sie gibt hoffentlich der in der Schweiz – mit Ausnahme der alpinen Siedlungen – vernachlässigten Wüstungsforschung neue Impulse, wobei vor allem die Ursachen der stark unterschätzten Siedlungsdynamik interessieren sollten.

Zitierweise:
Hans-Rudolf Egli: Rezension zu König, Katharina: Finsterhennen, Uf der Höchi. Eine hochmittelalterliche Wüstung im Berner Seeland. Mit Beiträgen von Marlu Kühn, Marc Nussbaumer, André Rehazek, Angela Schlumbaum, Vincent Serneels. Hrsg. vom Archäologischen Dienst des Kantons Bern. Bern: Rub Media AG 2011. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 3, 2012, S. 66-67.

Redaktion
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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 3, 2012, S. 66-67.

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